Sætte sejl
Unser Waves & Woods Crew-Mitglied Finn Ole Spring wurde von seinem Kumpel Vince Scholz angeheuert, um dessen Segelboot in einen neuen Heimathafen zu überführen. Von Aarhus ging es durchs winterliche Dänemark bis hin zu Finns Heimat Klittmöller. Weder rauer Seegang noch Eissollen stoppten die beiden Leichtwassermatrosen, denn das Ziel war zu verlockend. Einer der besten Swells der letzten Monate wartete auf sie.
Text und Fotos: Finn Ole Springborn
Aarhus, Dänemark, 3:00 AM – Der blecherne Sound des Weckers reißt uns unsanft aus dem viel zu kurzen Schlaf. 4 Stunden zuvor haben wir die letzten Dinge an Bord der Akamimi verstaut und jetzt quälen wir uns hundemüde aus unseren Schlafsäcken. Nach einer schnellen Tasse Kaffee vor der brummenden Dieselheizung begeben wir uns an Deck der 30 Fuß Albin Ballad und in die klirrend kalte Luft. Vince prüft noch eben, wie dick die Eisschicht um die Anlegestelle im Hafen ist und dann heißt es Leinen los. Das Gluckern des Motors und das Krachen der Eisschicht sind die einzigen Geräusche weit und breit, denn noch nicht einmal die Möwen wagen sich um diese Uhrzeit aus ihren Verstecken.
Wir lassen Aarhus und den Schutz des Hafens hinter uns und es wird Zeit, die Segel zu setzten. Das Thermometer liest -6 Grad und mit zunehmendem Wind wird es frischer. Dick eingepackt und mit ebenso dicken Rändern um die Augen sitzen wir den ersten Teil der Etappe bei Schneeregen im offenen Cockpit aus. Ein Blick auf die Navigationsgeräte verraten mir, dass es noch knapp 3,5 Stunden bis zum Sonnenaufgang sind und noch gut 7 bis 8 Stunden bis zu unserem nächsten Zwischenstopp Grenaa. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Akamimi in nur 3 Tagen von Aarhus nach Lemvig zu segeln. 160 Seemeilen von der Ostküste gen Norden, vorbei an Aalborg und einmal quer über den Limfjord, der die Ostsee mit der Nordsee verbindet. Ob das zu schaffen ist, wird sich zeigen, aber mit unserem Ziel vor Augen, pünktlich zum herannahenden Swell wieder an der Westküste zu sein, waren wir motiviert, alles zu geben.
Vince ist Mikrobiologe und wir kennen uns schon aus unseren Grom-Zeiten bei den deutschen Meisterschaften in Südfrankreich. Dann sind wir die australische Ostküste rauf und runter gefahren - Surfen, campen und Party machen und einige Jahre später hat er mich in meiner heutigen Wahlheimat Dänemark besucht und kurz darauf einen Job an der Uni von Aarhus angenommen, wo er seitdem auf seinem Segelboot lebt. Auf dem Boot, auf dem wir jetzt die Küste Midtjyllands entlangsegeln und der langsam aufgehenden Sonne entgegenfiebern, die hinter dem für diese Jahreszeit üblichen Grau zu erahnen ist.
Die Helligkeit bringt die schneebedeckte Landschaft zum Vorschein und macht den Kampf gegen den Schlafmangel etwas leichter. Gegen Mittag soll der Wind ein wenig einschlafen und erst am Abend wieder zunehmen, weshalb wir eine Pause im Hafen von Grenaa eingeplant haben, um Kräfte für die nächste Etappe zu tanken. Nach einem kurzen Powernap gibt es Nudeln gegen den Hunger und Kaffee gegen die Müdigkeit und kurze Zeit später starten wir wieder den Motor, drehen die Musik auf und brechen gut gelaunt Richtung Limfjord auf. Der Wind ist noch schwach, soll aber gegen Einbruch der Dunkelheit ordentlich zunehmen und so genießen wir bei einer dampfend heißen Tasse Tee das laue Lüftchen, das sanfte Schaukeln und vor allem die Sonnenstrahlen, die sich jetzt am späten Nachmittag ihren Weg durch die Wolkendecke bahnen. Als die Sonne gegen 16 Uhr endgültig hinterm Horizont verschwunden ist, schalten wir den Autopiloten ein und verziehen uns für eine Partie Schach unter Deck, wo wir uns ein wenig aufwärmen. Es ist stockdunkel draußen, als es wie aus dem nichts wie wild anfängt zu schaukeln und wir den Wind durch die Ritzen pfeifen hören. Sofort stürmen wir an Deck, ziehen das Hauptsegel hoch und straffen das Vorsegel, welches zuvor den Motor unterstützt hat und beobachten, wie wir immer schneller werden. 5,5 Knoten, dann 6, bis wir uns bei rund 7 knoten einpendeln und uns durch die immer größer werdenden Wellen kämpfen. Wir stoßen Jubelschreie in die Dunkelheit aus und fühlen uns, als würden wir fliegen.
Nachdem der anfängliche Adrenalinschub abebbt und die Stunden ins Land ziehen, geht mir das Auf und Ab ohne irgendein Anzeichen des Horizonts irgendwann buchstäblich auf die Nerven und lässt mich zunehmend wackeliger auf den Beinen werden, bis ich es irgendwann nicht mehr zurückhalten kann und, wie man so schön sagt, die Fische füttere. Von hier aus sind es zwar nur noch knapp 2 Stunden bis wir den Limfjord und unseren Hafen für die Nacht erreichen, aber jeder, der schon einmal seekrank war, kann es wahrscheinlich nachvollziehen, dass dies die längsten 2 Stunden meines Lebens werden sollten. Ich versuche unter Deck ein wenig die Augen zu schließen und komme erst wieder hervor, als Vince mir sagt, dass wir anlegen. Erschöpft krieche ich aus meinem Schlafsack, klettere auf den Steg und lass mich in die dicke Schneedecke fallen und genieße es für einen Augenblick festen Boden unter den Füßen zu haben.
Der nächste Morgen beginnt wieder einmal früher, als es uns lieb ist, aber schließlich wollen wir den Groundswell, der sich der Westküste nähert, nicht verpassen und außerdem müssen wir jetzt, wo wir den Limfjord erreicht haben, die Öffnungszeiten der Brücken, die Midtjylland mit Nordjylland verbinden, einhalten. Die erste Brücke im Herzen Aalborgs passieren wir bei Tagesanbruch und die aufgehende Sonne und der konstant aus Südwesten wehende Wind sind Grund genug, um bei uns für gute Laune zu sorgen. Zudem habe ich wieder Farbe im Gesicht und fühle mich wie neu geboren. Gegen Mittag machen wir eine kurze Pause im Hafen von Lögstör, um unsere Wassertanks aufzufüllen und nach einem kurzen Snack geht es weiter auf die Livö Breite. Sofort setzten wir alle Segel und halten Kurs auf Nyköbing Mors. Der Autopilot übernimmt ab jetzt die Arbeit und Vince und ich verziehen unter Deck, wo wir Kaffee kochen, Schach spielen und die weitere Route planen. Im 5-Minuten-Takt schauen wir abwechselnd, was der Wind macht, ob der Autopilot den richtigen Kurs hält und ob uns andere Boote in die Quere kommen, was um diese Jahreszeit eher unwahrscheinlich ist, aber man weiß ja nie. Wir passieren die letzte Brücke des Tages und laufen in den Hafen von Sillerslev ein, wo wir wieder einmal außer ein paar stillgelegten Fischkuttern das einzige Boot im Hafen sind. Das letzte, woran ich mich erinnere, ist das Kreischen der Möwen und das Klappern der Seile und dann falle ich in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen wachen wir zu einem spektakulären Sonnenaufgang auf. Das Orange des Himmels wird von der frischen Schneedecke reflektiert. Weil uns jetzt nur noch gut ein halber Tag segeln von unserem Ziel Lemvig trennt, gönnen wir uns ein ausgiebiges Frühstück, bevor wir aufbrechen und setzten dann bei strahlendem Sonnenschein die Segel. Der Wind ist perfekt und schnell pendeln wir uns zwischen 5 und 6 Knoten ein. Die Stimmung ist auf einem absoluten hoch und es gibt keinen Ort, an dem wir grade lieber wären als hier bei knackigen 0 Grad und der Sonne im Gesicht. Vince kommt mit einem frischgebrühten Kaffee an Deck und wir machen es uns auf dem Bug der Akamimi gemütlich. Weit und breit keine Menschenseele. Musik schallt aus den Lautsprechern und wir Jubeln vor Freude. Der absolute Höhepunkt unserer Reise. Doch dann wurde es plötzlich still. Ich greife an meine Tasche, um nachzugucken, ob der Akku meines Telefons leer ist. Doch da wo vorher mein Telefon gesteckt hat herrscht nun gähnende Leere. „Fuck“, denke ich mir und nach einer kurzen erfolglosen Suchaktion im vorderen Bereich des Bootes bestätigt sich mein Verdacht, dass mein Telefon sich auf den Grund des Limfjordes verabschiedet hat. Obwohl mir das gar nicht gefällt, nützt es nichts, sich darüber aufzuregen. Außerdem haben wir noch einen Glögg an Bord, den wir uns auf den Schrecken gönnen. Wir lassen die letzte Brücke der Reise hinter uns und nun trennen uns nur noch 8Seemeilen von unserem Ziel – Endspurt. Kurz vor Sonnenuntergang laufen wir in Lemvig ein. Der vorübergehende Heimathafen von Akamimi und Vince, der die nächsten Monate nur wenige Kilometer entfernt von hier im Fischerort Thyborön arbeitet. Doch an Arbeit war die nächsten Tage erst einmal nicht zu denken. Schließlich haben wir uns so beeilt, die Akamimi von der Ost- an die Westküste zu verlegen, um den Groundswell abzugreifen, der irgendwann heute Nacht die Küste erreichen sollte. Also entschieden wir uns dazu, das Auto mit sämtlichen Surfequipment zu beladen und die Nacht in meinem Zuhause in Klitmöller zu verbringen, um morgen früh direkt aufs Wasser zu können.
Der Wind der Vortage hat sich über Nacht gelegt und die Temperaturen sind hochgegangen. Von den Schneemassen der letzten Tage sind nur noch die matschigen Überreste vorzufinden. Gerädert von den letzten Tagen auf See fällt mir das Aufstehen definitiv schwerer als normalerweise, aber nichts, was man nicht mit einer starken Tasse Kaffee beheben könnte und dann geht es ohne Umwege zum Spotcheck. Der erste Blick aufs Meer ist vielversprechend. Cleane Lines laufen an den Strand und ich weiß sofort, wohin es als nächstes geht. Nur wenige Minuten später stehen Vince und ich auf dem sandigen Parkplatz und zwängen uns in den dicken Winterneo samt Schuhen und Handschuhen. Wir klemmen uns die Boards unter die Arme und laufen durch die Dünen zum Strand. Erst wenige in Neopren gehüllte Köpfe tummeln sich im Wasser und warten auf das nächste Set. Während wir den steinigen Strand herunter zum Wasser laufen, türmt sich eine cleane Welle am Horizont auf und bricht perfekt nach links und rechts. Ich paddel raus und setze mich auf die Right. Vince geht als Goofyfooter auf die Left. Ein Set zeichnet sich ab, ich positioniere mich und surfe die erste von vielen Wellen einer ganz besonderen Session. Obwohl ich hier schon etliche Male im Wasser gewesen bin, fühlt es sich anders an als sonst. Natürlich liegen mir die letzten Tage auf See in den Knochen, andererseits fühle ich mich so lebendig wie schon lange nicht mehr. Dänemark hat mir wieder einmal bewiesen, wie vielfältig es ist und mir vor Augen geführt, warum ich mich vor einigen Jahren dazu entschieden habe, mich hier inmitten des Nationalpark Thy’s niederzulassen.