Fieldguide: Bound to Mexico

In den späten 60er Jahren schnallten die ersten Surfer aus Kalifornien ihre Surfbretter auf rostige Vans und fuhren an der mexikanischen Küste entlang nach Süden. Sie surften leere Wellen, schliefen am Strand und lebten von Fisch, Früchten und Tequila. Jahr für Jahr brauchte es in San Diego, Encinitas, Carlsbad, San Clemente oder Newport Beach nur ein paar Lagerfeuergeschichten über perfekte mexikanische Wellen, um den bunt flirrenden Surfmythos zu befeuern, für den das Land bis heute berühmt ist. Zeit also, sich endlich auch auf eine Reise in dieses faszinierende Land zu machen.

 

Text und Interview: Carsten Schmidt

 

Am 11. März 1940 verlassen der Schriftsteller John Steinbeck und sein Freund, der Meeresbiologe Ed Ricketts, an Bord der „Western Flyer“ den Hafen von Monterey. Mit an Bord des 88 Fuß langen Sardinenkutters waren Skipper Tony und dessen Crew Tex, Sparky und Skip. Das Ziel der forschenden Männer-WG war es, die unbekannte Tier- und Pflanzenwelt entlang der Baja California und in der See von Cortez vor Mexiko zu erkunden. Anfangs sorgten die Männer mit ihrer Mission bei den Einheimischen für Misstrauen. Also erzählten sie ihnen bei jeder Gelegenheit, die sich bot, folgende Story:

 

„Wir behaupteten, Kuriositäten zu sammeln. Die hübschen kleinen Tiere und Muscheln gebe es hier so zahlreich, dass sie wertlos seien, aber in den Staaten seien sie selten und hätten deshalb einen gewissen Wert. Sie würden uns nicht zu Millionären machen, doch es lohne sich, sie aufzusammeln. Außerdem gefalle uns das Sammeln. Nachdem wir uns diese Geschichte ausgedacht hatten, gab es nie wieder Probleme.“

Bound to Mexico 

Sechs Wochen dauerte der Trip, bei dem sie über 4.000 Seemeilen zurücklegten. Die Reise, die Steinbeck und Ricketts in ihrem Buch Sea of Cortez: A Leisurely Journal of Travel and Research dokumentiert haben, war biologische Feldarbeit, mexikanischer Roadtrip und seemännische Expedition zugleich. Hätten Ricketts und Nobelpreisträger Steinbeck Surfbords an Bord gehabt, die Reise wäre einer der ersten Surf Boattrips nach Mexiko überhaupt gewesen. In jedem Fall haben die Männer mit ihrem Trip dafür gesorgt, dass Baja California und das mexikanische Festland in den Reisefokus ihrer US-amerikanischen Landsleute gerückt waren. Doch bis die ersten Wellenreiter Mexiko für sich entdecken sollten, sollten noch ein paar Jahre vergehen. Deshalb springen wir an dieser Stelle ins Jahr 1974.

 

Bienvenidos a México en 1974

 

Richard Nixon ist gerade als US-Präsident zurückgetreten. Bei den Surfboards sind Singlefins mit Swallowtail top notch und in den Kinos bricht Der weiße Hai alle Rekorde, während Jackson Browne und Bob Dylan sich im Radio rauf und runter duellieren. Zeitgleich sind die Beziehungen zwischen USA und Mexiko zum Zerreißen angespannt. Der Grund: Die Staaten machen Mexiko für ihr zunehmendes Drogenproblem verantwortlich, während die mexikanische Regierung ihrerseits den US-Drogenhändlern vorwirft, Waffen an die mexikanischen Guerillas zu liefern. Wie man es auch dreht und wendet, diese Gemengelage ist so hochprozentig wie ein Mescal, der mit einem leichten Brennen den Rachen runterfließt. Was das für amerikanische Gringos bedeutet, die auf der Suche nach Wellen in einem klapprigen Bulli durch Mexiko fahren? Das sie in den müden Augen des mexikanischen Militärs äußerst verdächtig sind.

 

Perfekte Voraussetzungen für die beiden Newport-Locals Lenny Foster und Tim Bernady. Am 22. Oktober 1974 werfen sie ihre Boards in Tims Van und fahren Richtung Süden. Obwohl die beiden kein bestimmtes Ziel haben und auch kein Spanisch sprechen, freuen sie sich auf ihren Trip. Sechs Monate wollen sie unterwegs sein, mit 600 Dollar in Reiseschecks und ein paar Dólares in bar. Mitte der 1970er Jahre war Mexiko ein weitgehend unerforschtes Paradies, das für backpackende Surfer aus den USA deshalb so verlockend war, weil es so verdammt billig war. Allerdings riet das US-Außenministerium damals von Reisen nach Mexiko ab, denn die Bedrohung durch Bandidos war kein Witz, sondern real. Hinzu kam, dass es dort damals weder Surfcamps gab, noch Bücher darüber, zu welchen Surfspots man in welcher Jahreszeit überhaupt reisen sollte.

 

Entlang der Tausende Kilometer langen mexikanischen Küste gab es damals nur eine Handvoll bekannte Spots: Cannons in Mazatlan, Matachen Bay kurz vor San Blas, Punta de Mita nördlich von Puerto Vallarta und Petacalco nördlich von Zihuatenejo. Es gab zwar ein paar kalifornische Surfer, die bereits Anfang der 1960er Jahre auf der Suche nach Wellen durch Mexiko getingelt sind, etwa Mike Hynson und Bill Fury 1963. Und nach ihrer Rückkehr gaben sie auch jede Menge Ratschläge dazu, was man an Dingen mitbringen sollte und was nicht. Allerdings waren sie sparsam mit Infos darüber, wie man denn jetzt zu den Surfspots kommt und wann sie am besten laufen. Alles was sie taten war, vielsagend zu grinsen. Will heißen: Fahrt selber runter, macht euch auf die Suche und ihr werdet fündig. Das ist leichter gesagt als getan, denn die Kommunikationssysteme in Mexiko des Jahres 1974 waren so schlecht, dass man, sobald man die Grenze überquert hatte, kaum noch Kontakt zu den Lieben daheim hatte. Briefe brauchten Wochen und Telefonate nach Hause waren eine seltene und teure Angelegenheit, für die schon mal ein ganzer Tag draufgehen konnte. Trotzdem zog die Magie dieses billigen, unstrukturierten Landes eine bunte Mischung aus Hippies, Aussteiger:innen, verlorenen Seelen und abenteuerlustigen Surfer:innen an. Viele von ihnen waren auf der Flucht vor dem Gesetz, vor dem Leben oder vor der Liebe. Bei Lenny und Tim war es die Suche nach leeren Wellen.

Photo: Toby Butler 

Ihre Suche nach Wellen führte sie in zahllose abgelegene Fischerdörfer, deren Bewohner bis dahin nur selten Gringos zu Gesicht bekommen haben. Doch fast immer wurden sie von den Einheimischen mit einer herzlichen Offenheit begrüßt, für die Mexiko noch heute berühmt ist. Das Sprichwort "Mi casa es su casa" (Mein Haus ist dein Haus) war definitiv die Regel. Tim und Lenny wurden häufig von den Locals eingeladen, um das Wenige, das sie hatten, mit ihnen zu teilen. Die Jungs schliefen mit Skorpionen, surften mit Haien, zelteten am Strand in einem Gebiet, in dem sich verfeindete Drogenbanden bekämpften und lauschten den nächtlichen Kämpfen der Straßenhunde. Beide waren von der Sonne verbrannt, weil wasserfeste Sonnencreme erst noch erfunden wurde. Hinzu kam, dass es 1974 noch keine Boardshorts gab. Also trugen sie meistens kurze Hosen aus Baumwolle, die in der Feuchtigkeit der mexikanischen Tropen kaum trockneten und schmerzhaften „Rash“ im Schritt verursachten. Ein Surftrip durch Mexiko zu der Zeit war oft herausfordernd, ab und an gefährlich, aber trotz allem eines der aufregendsten Abenteuer damals.

 

Zwar gibt es in der nördlichen Baja heutzutage keine unbekannten Spots mehr, da seit dem Roadtrip von Lenny und Tim 1974 quasi wöchentlich Surfer aus Südkalifornien vorbeischauen und jeder Point und jeder Strand mit der Chance auf Wellen kartographiert ist. Doch wer an der Küste entlang immer weiter nach Süden fährt, wird nicht nur auf perfekten Surf und leere Line-ups stoßen, sondern auch den besten Tequila Mexikos entdecken.

 

Von Agaven, Piñas und Vulkanen

 

Unterwegs im Bundesstaat Jalisco auf der 15D über die Hochebene Sierra Tequila. Links und rechts trockene Ackerstreifen, auf denen Abertausende Agaven wachsen. Eine kilometerlange graublaue Stacheldecke, die sich an den Hängen des Volcán de Tequila verliert, dessen Umrisse in der Ferne fast drei Kilometer in den wolkenlosen Himmel ragen. Seit Monaten hat es hier nicht geregnet. Für die Agave keine große Sache, sie ist eine zähe Pflanze, die nicht gegossen werden muss. Ihr reichen die Tropfen, die beim nächsten Gewitter runterkommen. Dennoch müssen die Farmer auf ihre Pflanzen achten, damit eines Tages die gelbgrünen Quiote daraus wachsen, bis zu 12 Meter hohe Blütenstämme, in denen sich die Samen der neuen Agaven befinden. An die eigentliche Arbeit, das Rasieren der Agaven, machen sich Bauern nach sieben Jahren. Früher war es ausreichend, wenn die Pflanzen alle zehn Jahre rasiert wurden. Aber weil immer mehr Menschen auf den Geschmack von Tequila kommen, rücken die Farmer früher zum Rasieren aus. Dafür schneiden sie die harten Blattspitzen ab, um an das Herz der Agave zu gelangen, der Piña, aus der später der Tequila gekocht wird.

 

Das Kochen passiert ein paar Kilometer die Straße runter, in Huaxtla, einem Dorf im Schatten des Vulkans. Am Ortsrand steht die Brennerei von Volcán de mi Terra. Die hölzernen Tore stehen weit offen. Im Innenhof steht Tomas Perez und blinzelt in die Nachmittagssonne. Er schaut aus wie ein Charro, ein mexikanischer Cowboy, der seinen Ruhestand genießt: Leicht untersetzt, mit wachen Augen und schmalem Schnauzbart, dazu ein kurzärmeliges Hemd und eingetragene Denim. Tomas ist Master Tequilier bei Volcán de mi Terra. Vor ihm türmen sich die Piñas, daneben spalten Arbeiter die Agavenherzen mit ihren Äxten, das macht es leichter, sie zu kochen. „20 Tonnen Agavenherzen kochen wir jede Woche für 42 Stunden in unserem Steinofen“, erzählt Tomas. Sieben Kilo Piña werden für einen Liter Tequila benötigt, die Brennerei produziert jedes Jahr Tausende Hektoliter. „Die Essenz von Volcán de mi Terra ist einfach“, sagt Tomas, „100 Prozent Herz, vom Feld bis in die Flasche.“

 

Bis vor ein paar Jahrzehnten war Tequila der Schnaps der Armen, gebrannt in unauffälligen Hinterhöfen. Manche der Sorten hatten bis zu 80 Prozent Alkohol und rochen und schmeckten so stechend, dass man sie nur mit Salz und Limette und in einem Schluck runter bekam. Master Distiller Tomas würde einen Tequila nie mit Salz und Limette trinken, geschweige denn ihn runterkippen. Stattdessen genießt er ihn aus einem Tequila-Glas mit hohem Kelch und langem Stiel. „Volcan de mi Tierra ist nicht nur ein Tequila“, sagt Tomas und nimmt einen kleinen Zip, den er erst nach ein paar Sekunden runterschluckt. „Er ist die Kreation eines einzigartigen Profils aus reichen Aromen und Geschmacksnoten unserer Agaven aus dem Hochland und dem Tiefland hier am Vulkan. Dieser unvergleichliche Ausdruck hebt alle Nuancen jeder der beiden Regionen hervor.“ Jalisco ist ein besonderer Bundesstaat. Die Region ist nicht nur der Geburtsort des Tequila. Sie ist auch berühmt für ihre Surfspots. Es gibt Beach Breaks, River Mouths und Reef Breaks, die sich von Puerto Vallarta im Norden bis zur Grenze von Michoacan im Süden erstrecken. Sie heißen Tecuan, Campos Manzanillo, El Pariso und Boca de Apisa, aber das Juwel von Jalisco ist der Rivermouth Pascuales. Um den Spot zu beschreiben, reicht ein kurzer Satz: Pascuales ist für Jalisco das, was Puerto Esondido für Oaxaca ist – ein Beachbreak so groß wie ein Jumbojet und genau so schnell.

 Bound to Mexico by Tobi Butler

Logging in Sayulita

 

Entspanntere Wellen rollen 400 Kilometer nördlich an die Strände der mexikanischen Riviera von Nayarit, im benachbarten gleichnamigen Bundesstaat. Die Riviera von Nayarit erstreckt sich über 160 Kilometer von Nuevo Vallarta nach San Blas. Viele der Spots liegen an der Nordspitze der Bucht von Banderas (nicht Bandidos). Hier gibt es mehr als ein Dutzend Wellen mit kristallklarem tropischem Wasser. Eines der derzeit angesagtesten Ziele bei Surfern ist jedoch Sayulita. Die bevorzugte Barfußaktivität in dem kleinen 4.000-Einwohner-Städchens am Rande des Regenwalds ist zwar Wellenreiten, aber es gibt auch zahlreiche Yogastudios für diejenigen, die mit einer Yogamatte statt mit einem Log hierherkommen. Das war nicht immer so. In den 1970er Jahren mussten sich die ersten Reisenden durch den dichten Regenwald hacken, um diesen Abschnitt des zotteligen, blonden Mexikos mit seinen wilden Stränden, schwarzen Felsen und gebleichtem Treibholz zu entdecken, wo bis dahin nur rosafarbene Ibisse und Pelikane nisteten. Die Neuankömmlinge entdeckten ein Paradies. Kein Wunder, dass die ersten Besucher von Sayulito nie wieder weggingen, sondern stattdessen kleine Hotels und Läden eröffneten und hübsche Kinder zur Welt brachten, die die Surfer von morgen werden sollten. Einer von ihnen ist onathan Meléndez.

„Das beste Wort, um zu beschreiben, wie es hier ist, ist ‚chill‘, alles ist sehr ruhig und friedlich hier“, sagt Jonathan Melendres, der von seinen Freunden nur Gordo genannt wird. „Sayulita ist eine kleine Gemeinde, jeder kennt hier jeden. Ich liebe es hier so sehr, ich würde nirgendwo anders leben wollen. Niemals.“ Jonathan ist einer der Localboys. Was er auf seinem Log anstellt, geht runter wie ein feiner Tequila. Spätestens seit dem Vans Duct Tape 2022 in Sayulita kennt man ihn auch außerhalb Mexikos. Schließlich gehörte er zu jener Handvoll Locals, die beim Event mitsurften. Als einziger von ihnen loggte sich Gordo bis in Halbfinale. Grund genug für einen kurzen Schwatz im Sand über dies und das.

Jonathan, wie bist du zum Loggen gekommen?

Mein großer Bruder hat mich in diesen Sport eingeführt. Ich habe ihm dabei zugesehen und er hatte so viel Spaß dabei, dass ich das selbst erleben wollte. Also hat er mir geholfen. Und als ich damit angefangen hatte, wollte ich nicht mehr aufhören. Ich habe SUP und Shortboarden ausprobiert und schließlich ein Longboard, was mir am besten gefallen hat.“

 

Beschreibe das Leben, die Menschen und die Wellen in Sayulita!

Wenn du jemand bist, der Freude an einfachen Dingen und einem einfachen Lebensstil hat, könnte es nicht perfekter sein. Du findest hier alles, was du brauchst, und eine herzliche Gemeinschaft. Jeder kümmert sich um den anderen. Das besondere am Surfen hier ist, dass wir mehrere Point Breaks haben. So wird nie langweilig.

 

Welches sind deine Top fünf Longboard Spots in Mexiko?

Das sind Anclote in Punta de Mita, La Saladita in Guerrero, Santa Cruz in San Blas, Mojón in Oaxaca und La Bahia in Punta de Mita.

 

Was gefällt dir am meisten an deinem Heimatland, wenn es um das Surfen geht?

Die Fülle an Point Breaks und die versteckten Spots, die du überall finden kannst.

 

Hast du einen Tipp, wo man in Sayulita gut für ein paar Tage einchecken kann?

Du solltest im Sayulinda Hotel ein Zimmer buchen. Ich hatte die Möglichkeit, dort ein paar Nächte während des Vans Duct Tape zu verbringen und es war großartig, denn es ist nur einen Block vom Strand entfernt. Es gibt auch eine Reihe anderer guter Hotels und Hostels, je nachdem, was du suchst.

 

Was machst du neben dem Surfen?

Ich baue sehr gerne Dinge aus recyceltem Holz, mache Musik, Reise gerne und Skate viel. Und wie jeder Mexikaner liebe ich Essen.

 

Apropos, was kannst du uns über mexikanisches Essen erzählen?
Das ist einfach: Bereite dich darauf vor, nie wieder etwas anderes Essen zu wollen (lacht). Der Reichtum an Aromen wird dich umhauen.

 

Letzte Frage: Wann trinkst du Tequila und warum?
Um auf der Tanzfläche mutiger zu werden. Natürlich musst du vorsichtig sein, weil du auch viel zu mutig werden kannst … hahaha.

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